Sweet Home Alabama
Aus der Endlosserie "Kopfschütteln über Amerika" hier ein weiteres Kapitel, welches ich eben auf Tagesschau. de gelesen habe und nun ungekürzt hierher kopiere:
Schuldig" nach 100 Jahre altem Seerecht in Alabama
Unfall wird deutschem Kapitän zum Verhängnis
Wolfgang Schröder fährt seit 32 Jahren zur See. Zum Helden wurde er 1987, als er Schiffbrüchige aus Seenot rettete. Jetzt sitzt er im berüchtigten Corrections-Center-Gefängnis im US-Staat Alabama. Zehn Jahre Haft drohen dem deutschen Kapitän. Zum Schwerverbrecher wurde er durch einen tödlichen Unfall.
Von Georg Schwarte, NDR-Hörfunkstudio Washington
Im Hafen von Mobile, an den Docks des einzigen Tiefwasserhafens in Alabama, tief im Süden der USA, liegen Container soweit das Auge reicht. Millionen Tonnen Holz, Kohle und Stahl werden hier für die ganze Welt jedes Jahr umgeschlagen. Kapitän Wolfgang Schröder kennt den Hafen und kennt die Welt. 32 Jahre fährt er jetzt zur See. Am 2. März 2006 steht er auf der Brücke der "Zim Mexico III", eines Containerschiffes der Hamburger Rickmers Reederei. Beim Ablegen vom Ladedock muss der über 160 Meter lange Frachter drehen, Routine für den Kapitän.
Aber was dann passiert, veränderte alles, erzählt Jonas Lyborg, der den Hafen von Mobile seit vielen Jahren kennt: "Während dieses Wendemanövers fiel das Bugstrahlruder aus. Die Strömung des Flusses und der Wind drückten das riesige Schiff Richtung Dock. Kapitän Schröder und der Lotse versuchten, mit dem Ruder und der Hauptmaschine gegenzusteuern. Vergeblich. Das Containerschiff rammte das Dock, ein Kran stürzte um und erschlug einen Hafenarbeiter."
Hand- und Fußfesseln für den Kapitän
Lyborg hat lange Zeit im Hafen von Mobile für eine schwedisches Seefahrts-Unternehmen gearbeitet. Jetzt kämpft er für den deutschen Kapitän, denn Schröder - den seine zur See fahrenden Kollegen einen erfahrenen und umsichtigen Kapitän nennen - sitzt bis heute in einem Gefängnis in Alabama, dem berüchtigen Corrections Center von Bay Minette. "Das Licht brennt 24 Stunden am Tag. Es gibt keine Möbel, keine Stühle, keinen Tisch, ein Gemeinschaftsklo für alle in der Zelle, Besuche zwei Mal die Woche maximal 30 Minuten. Schröder sitzt dann in Hand- und Fußfesseln hinter Panzerglas", berichtet Lyborg.
Veraltete Gesetze in Alabama
Was die Anwälte des 59-jährigen deutschen Kapitäns vor Gericht als tragischen Unfall darstellten, ausgelöst durch den Ausfall der Elektrik des Bugstrahlruders, war für die Geschworenen des US-Gerichts in Mobile, Alabama, fahrlässige Tötung. Ein kleiner, vor über einhundert Jahren entstandener Gesetzesabschnitt besagt, dass in einem Seerechts-Fall wie diesem nicht grobe, sondern schon einfache Fahrlässigkeit ausreiche, um wegen fahrlässiger Tötung angeklagt und verurteilt zu werden. "Einfache Fahrlässigkeit, das war alles, was es hier brauchte", so Schröders Anwalt Irwin Schwartz. Das mache theoretisch einen Autounfall auf einem Parkplatz zu einem kriminellen Akt. Aber genau das besage das Gesetz, und das sei das Problem. Der Experte für Seerecht verzweifelt an der amerikanischen Justiz und dem Schuldspruch gegen seinen Mandanten.
Schröder war einen Monat nach dem Unfall am Karfreitag von der amerikanischen Küstenwache verhaftet und dann in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht worden, wurde behandelt wie ein Schwerverbrecher. Schwartz sagt, er habe als Anwalt seit 30 Jahren nicht mehr erlebt, dass Mandanten in Fußfesseln zum Gespräch mit ihrem Verteidiger gebracht werden, nicht mal bei zum Tode verurteilten Mördern. Aber das sei die Art, wie sie Menschen in Alabama behandelten, erklärt er.
Urteil der Geschworenen: Schuldig
Die Hamburger Reederei Rickmers, Arbeitgeber des Kapitäns, stellte Kaution. Schröder gab seinen Pass ab und wurde für sechs Monate bis zum Gerichtsverfahren unter Hausarrest gestellt. Und dann saß der Kapitän vor den Geschworenen. "Der Staatswanwalt zeigte als allerletztes Beweisstück das Foto des toten Hafenarbeiters, einen vom gerammten Kran zerschmetterten Körper. Und mit diesem Eindruck ging die Jury in die Beratungen", berichtet der amerikanische Anwalt von der Verhandlung. Sieben Stunden saßen die Geschworenen zusammen, dann der Schuldspruch: Schuldig wegen fahrlässiger Tötung. Für Wolfgang Schröder brach eine Welt zusammen: "Was sollte ich da machen. Zwei Federal-Marshalls haben mir Handschellen angelegt, mir alles abgenommen, was man nicht haben darf: Gürtel, Kreditkarte und meine Uhr."
Zu erreichen ist der Kapitän per Telefon. Das Gespräch läuft aber über das Büro vom Gefängnis-Sheriff, der hört zu, die Leitungsqualität ist schlecht. Kapitän Schröder, der norddeutsche Seemann, der 32 Jahre auf hoher See zubrachte, der seine Frau seit April des Jahres nicht mehr gesehen hat, sitzt jetzt in einer Gefängniszelle in Alabama und wartet auf das Strafmaß. Er lebe von einem Tag zum nächsten, sagt er. Anders sei das alles nicht zu ertragen.
Als Held geehrt
1987, als die Fähre "Herald of Free Enterprise" im britischen Kanal unterging, ertranken 193 Menschen. Damals war es Kapitän Wolfgang Schröder, der mit seinem Schiff als einer der ersten an der havarierten Fähre war. Er half Menschen zu retten, erhielt daraufhin Dankesschreiben der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und einen Orden vom belgischen König. Heute sitzt der Held von einst als Häftling im Gefängnis und wartet auf das Strafmaß. "Ein Unding", sagt der Schwede Lyborg, der Schröder zweimal die Woche besucht. Für ihn sei es wichtig, dass die Welt, dass Europa mitbekomme, dass hier einem professionellen Seefahrer, einem Mann, den sie einst als Held bezeichnet haben, Unrecht geschehe.
Bis zu zehn Jahre Haft kann die Richterin verhängen. Schröder nimmt es norddeutsch gelassen: "Wenn das dann so kommt und es eine längere Haftstrafe wird, dann bleib´ ich eben hier in Alabama. Da kann man ja nichts machen." Nein, sagt er ins rauschende Telefon, viel könne man jetzt wohl nicht für ihn tun. Er hoffe, dass die Richterin den Schuldspruch aufhebt, sonst wolle er in die Berufung gehen, so Schröder, als eine Computerstimme das Telefongespräch unterbricht. "Noch fünfzig Sekunden bis das Telefonat automatisch unterbrochen wird", lautet die Ansage.
Strafmaß wird erst im Februar verkündet
"Und grüßen Sie mir Norddeutschland", ruft Schröder in den Hörer. Ein letzter Gruß an die Heimat, dann geht es für ihn zurück in die Zelle. Anfang Februar, so hat die Richterin mitgeteilt, wird sie das Strafmaß verkünden. Solange bleibt der deutsche Kapitän auf jeden Fall in dem amerikanischen Gefängnis. Und es bleiben die Handfesseln und die Fußfesseln für einen Kapitän, dessen tragischer Unfall einfach am falschen Ort passierte. Sein amerikanischer Anwalt jedenfalls bittet öffentlich um Entschuldigung für das US-Justizsystem: "Es ist mir peinlich zugeben zu müssen, dass unsere Gesetze veraltet sind und dass wir unsere Häftlinge unmenschlich behandeln. Alles was wir jetzt tun können, ist, Wolfgang Schröder freizubekommen."
Während ich diesen Bericht hier einstelle, frage ich mich selbst, ob ich mittlerweile auch der Fraktion der Amerikahasser zuzurechnen bin? Nein, ganz sicher nicht, aber mein, über Jahrzehnte, unverrückbar positives Amerikabild bekommt mehr und mehr Risse.
Schuldig" nach 100 Jahre altem Seerecht in Alabama
Unfall wird deutschem Kapitän zum Verhängnis
Wolfgang Schröder fährt seit 32 Jahren zur See. Zum Helden wurde er 1987, als er Schiffbrüchige aus Seenot rettete. Jetzt sitzt er im berüchtigten Corrections-Center-Gefängnis im US-Staat Alabama. Zehn Jahre Haft drohen dem deutschen Kapitän. Zum Schwerverbrecher wurde er durch einen tödlichen Unfall.
Von Georg Schwarte, NDR-Hörfunkstudio Washington
Im Hafen von Mobile, an den Docks des einzigen Tiefwasserhafens in Alabama, tief im Süden der USA, liegen Container soweit das Auge reicht. Millionen Tonnen Holz, Kohle und Stahl werden hier für die ganze Welt jedes Jahr umgeschlagen. Kapitän Wolfgang Schröder kennt den Hafen und kennt die Welt. 32 Jahre fährt er jetzt zur See. Am 2. März 2006 steht er auf der Brücke der "Zim Mexico III", eines Containerschiffes der Hamburger Rickmers Reederei. Beim Ablegen vom Ladedock muss der über 160 Meter lange Frachter drehen, Routine für den Kapitän.
Aber was dann passiert, veränderte alles, erzählt Jonas Lyborg, der den Hafen von Mobile seit vielen Jahren kennt: "Während dieses Wendemanövers fiel das Bugstrahlruder aus. Die Strömung des Flusses und der Wind drückten das riesige Schiff Richtung Dock. Kapitän Schröder und der Lotse versuchten, mit dem Ruder und der Hauptmaschine gegenzusteuern. Vergeblich. Das Containerschiff rammte das Dock, ein Kran stürzte um und erschlug einen Hafenarbeiter."
Hand- und Fußfesseln für den Kapitän
Lyborg hat lange Zeit im Hafen von Mobile für eine schwedisches Seefahrts-Unternehmen gearbeitet. Jetzt kämpft er für den deutschen Kapitän, denn Schröder - den seine zur See fahrenden Kollegen einen erfahrenen und umsichtigen Kapitän nennen - sitzt bis heute in einem Gefängnis in Alabama, dem berüchtigen Corrections Center von Bay Minette. "Das Licht brennt 24 Stunden am Tag. Es gibt keine Möbel, keine Stühle, keinen Tisch, ein Gemeinschaftsklo für alle in der Zelle, Besuche zwei Mal die Woche maximal 30 Minuten. Schröder sitzt dann in Hand- und Fußfesseln hinter Panzerglas", berichtet Lyborg.
Veraltete Gesetze in Alabama
Was die Anwälte des 59-jährigen deutschen Kapitäns vor Gericht als tragischen Unfall darstellten, ausgelöst durch den Ausfall der Elektrik des Bugstrahlruders, war für die Geschworenen des US-Gerichts in Mobile, Alabama, fahrlässige Tötung. Ein kleiner, vor über einhundert Jahren entstandener Gesetzesabschnitt besagt, dass in einem Seerechts-Fall wie diesem nicht grobe, sondern schon einfache Fahrlässigkeit ausreiche, um wegen fahrlässiger Tötung angeklagt und verurteilt zu werden. "Einfache Fahrlässigkeit, das war alles, was es hier brauchte", so Schröders Anwalt Irwin Schwartz. Das mache theoretisch einen Autounfall auf einem Parkplatz zu einem kriminellen Akt. Aber genau das besage das Gesetz, und das sei das Problem. Der Experte für Seerecht verzweifelt an der amerikanischen Justiz und dem Schuldspruch gegen seinen Mandanten.
Schröder war einen Monat nach dem Unfall am Karfreitag von der amerikanischen Küstenwache verhaftet und dann in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht worden, wurde behandelt wie ein Schwerverbrecher. Schwartz sagt, er habe als Anwalt seit 30 Jahren nicht mehr erlebt, dass Mandanten in Fußfesseln zum Gespräch mit ihrem Verteidiger gebracht werden, nicht mal bei zum Tode verurteilten Mördern. Aber das sei die Art, wie sie Menschen in Alabama behandelten, erklärt er.
Urteil der Geschworenen: Schuldig
Die Hamburger Reederei Rickmers, Arbeitgeber des Kapitäns, stellte Kaution. Schröder gab seinen Pass ab und wurde für sechs Monate bis zum Gerichtsverfahren unter Hausarrest gestellt. Und dann saß der Kapitän vor den Geschworenen. "Der Staatswanwalt zeigte als allerletztes Beweisstück das Foto des toten Hafenarbeiters, einen vom gerammten Kran zerschmetterten Körper. Und mit diesem Eindruck ging die Jury in die Beratungen", berichtet der amerikanische Anwalt von der Verhandlung. Sieben Stunden saßen die Geschworenen zusammen, dann der Schuldspruch: Schuldig wegen fahrlässiger Tötung. Für Wolfgang Schröder brach eine Welt zusammen: "Was sollte ich da machen. Zwei Federal-Marshalls haben mir Handschellen angelegt, mir alles abgenommen, was man nicht haben darf: Gürtel, Kreditkarte und meine Uhr."
Zu erreichen ist der Kapitän per Telefon. Das Gespräch läuft aber über das Büro vom Gefängnis-Sheriff, der hört zu, die Leitungsqualität ist schlecht. Kapitän Schröder, der norddeutsche Seemann, der 32 Jahre auf hoher See zubrachte, der seine Frau seit April des Jahres nicht mehr gesehen hat, sitzt jetzt in einer Gefängniszelle in Alabama und wartet auf das Strafmaß. Er lebe von einem Tag zum nächsten, sagt er. Anders sei das alles nicht zu ertragen.
Als Held geehrt
1987, als die Fähre "Herald of Free Enterprise" im britischen Kanal unterging, ertranken 193 Menschen. Damals war es Kapitän Wolfgang Schröder, der mit seinem Schiff als einer der ersten an der havarierten Fähre war. Er half Menschen zu retten, erhielt daraufhin Dankesschreiben der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und einen Orden vom belgischen König. Heute sitzt der Held von einst als Häftling im Gefängnis und wartet auf das Strafmaß. "Ein Unding", sagt der Schwede Lyborg, der Schröder zweimal die Woche besucht. Für ihn sei es wichtig, dass die Welt, dass Europa mitbekomme, dass hier einem professionellen Seefahrer, einem Mann, den sie einst als Held bezeichnet haben, Unrecht geschehe.
Bis zu zehn Jahre Haft kann die Richterin verhängen. Schröder nimmt es norddeutsch gelassen: "Wenn das dann so kommt und es eine längere Haftstrafe wird, dann bleib´ ich eben hier in Alabama. Da kann man ja nichts machen." Nein, sagt er ins rauschende Telefon, viel könne man jetzt wohl nicht für ihn tun. Er hoffe, dass die Richterin den Schuldspruch aufhebt, sonst wolle er in die Berufung gehen, so Schröder, als eine Computerstimme das Telefongespräch unterbricht. "Noch fünfzig Sekunden bis das Telefonat automatisch unterbrochen wird", lautet die Ansage.
Strafmaß wird erst im Februar verkündet
"Und grüßen Sie mir Norddeutschland", ruft Schröder in den Hörer. Ein letzter Gruß an die Heimat, dann geht es für ihn zurück in die Zelle. Anfang Februar, so hat die Richterin mitgeteilt, wird sie das Strafmaß verkünden. Solange bleibt der deutsche Kapitän auf jeden Fall in dem amerikanischen Gefängnis. Und es bleiben die Handfesseln und die Fußfesseln für einen Kapitän, dessen tragischer Unfall einfach am falschen Ort passierte. Sein amerikanischer Anwalt jedenfalls bittet öffentlich um Entschuldigung für das US-Justizsystem: "Es ist mir peinlich zugeben zu müssen, dass unsere Gesetze veraltet sind und dass wir unsere Häftlinge unmenschlich behandeln. Alles was wir jetzt tun können, ist, Wolfgang Schröder freizubekommen."
Während ich diesen Bericht hier einstelle, frage ich mich selbst, ob ich mittlerweile auch der Fraktion der Amerikahasser zuzurechnen bin? Nein, ganz sicher nicht, aber mein, über Jahrzehnte, unverrückbar positives Amerikabild bekommt mehr und mehr Risse.
blackconti - 14. Dez, 08:14